Schneekönigin
Eben habe ich realisiert, warum ich Schnee nicht mag. Kennt ihr die Geschichte „Die Schneekönigin“? Die musste ich mir als Kind anhören. Und vergesse nie das Bild dieser eiskalten Königin, die den kleinen Jungen mies behandelte.
Ich hatte diese Geschichte vergessen gehabt. Bis ich gestern im Schnee stand, Eiszapfen bewunderte und mir urplötzlich durch den Kopf ging: „Ein Wunder, bin ich noch immer Fan von Eiszapfen trotz dieser blöden Schneekönigin“.
Das zeigte mir, wie tief vergraben sie immer noch in mir schlummert.
Und dass da noch ganz viel mehr in mir versteckt ist.
Z.B. ein Wolf, der die Oma frisst und Kinder terrorisiert. Eine Stiefmutter, die das Kind vergiften will und Zwerge, die weinend am Sarg stehen. Eine Frau, die einen Schuh verliert, worauf sich ihre Stiefschwester einen Zeh abschneidet um in diesen Schuh zu passen. Eine Frau, die in einem Turm eingesperrt wird und einen Mann an ihren Haaren hoch klettern lässt.
Oder dieser absolut schreckliche Trickfilm „Fantasia“. Der war so psychedelisch, dass jeder Pink Floyd Track für mich einer Retraumatisierung nahe kommt.
Gerade jetzt kommt mir in den Sinn, wie dumm diese Turmfrau war. Sie hätte das Ende ihrer Haare beim Fenster anbinden und sich selber an ihren Haaren abseilen können. Sie wäre frei gewesen. Aber nein… Das einzige was ihr in den Sinn kommt ist, einen Mann an ihren Haaren rumklettern zu lassen und darauf zu hoffen, dass er sie rettet. Sowieso werden erstaunlich viele Frauen von Männern gerettet in diesen Geschichten. Noch erstaunlicher ist, dass diese Retter dauernd Prinzen sind.
Anscheinend stehen Prinzen voll auf hochdramatische Liebesgeschichten und sind nonstop auf der Suche sind nach Frauen, die gerade in einer unglaublich schwierigen Lage sind.
Heisst: Wenn sich dir ein Prinz nähert, schau dass du weg kommst! Falls du nicht tatsächlich in einer schwierigen Lage bist, wird er sicher versuchen, dich in eine zu bringen damit er dich retten kann.
Ich kenne mich mit Prinzen aus. Denn ich hab mir schon einige Prinzenfilme angesehen.
Weil ich nur todlangweilige Filme schauen kann – ich flenne bereits bei Kinderfilmen. Wenn wer im Film krank wird, bin ich sofort davon überzeugt, nun auch krank zu sein. Wenn eine Sekunde des Films unheimlich ist, fürchte ich mich danach tagelang im Dunkeln. Und wenn die Verliebten am Schluss kein glückliches Paar sind, werde ich so richtig wütend. Das Selbe, wenn jemand im Film stirbt, der sympathisch war. Man darf in Filmen keine netten Menschen sterben lassen! Dafür wird man doch Drehbuchautor*in! Damit man dafür sorgen kann, dass es ein Happy End gibt! Es macht null Sinn, Filme zu schreiben, die wahnsinnig viele Menschen unglücklich machen. Noch viel weniger Sinn macht es, Kindergeschichten zu schreiben mit mordenden Stiefmüttern, Oma-fressenden Wölfen, abgeschnittenen Zehen und idiotischen Haarklettereien!
Seit dem meine Eltern keine Macht mehr haben über meine Bücherwahl und ich meine Bücher so behandeln darf, wie ich will, zerreisse ich jedes das mir nicht gefällt und werfe es ins Altpapier. Augenblicklich. Mit einem wütenden: „Dich wird nie wieder wer lesen du übles, übles Buch!“
Und fühle mich dabei wie einer dieser Prinzen, die irgendwen retten. Vielleicht stürme ich morgen einen Bücherladen und hüpfe schreiend auf Kinderbüchern rum.
Niemand würde realisieren, dass ich einfach endlos wütend bin darüber, dass mir der Schnee vermiest wurde. Was wirklich scheisse ist wenn man in einem Land lebt, in dem sich Schnee gerne breit macht weil er so gut zum Image dieses Landes passt – glänzend rein – jedoch immer ziemlich rasch zu braunem Matsch wird weil er einen unergründlichen Drang hat, sich der wahren Natur eines Landes anzupassen.
Nein, sie würden denken, dass ich komplett durchgeknallt bin und mich irgendwo einsperren. Und weil sie einfach auch gerne mal nach Hause gehen am Abend, würden sie mich dort vergessen.
Bis… der Prinz mich rettet.
War ja klar.
Und wenn wir nicht gestorben sind, bin ich immer noch dort eingesperrt. Denn als er realisierte, dass ich weder Zeh noch Oma geopfert hatte und bloss eingesperrt bin weil ich ein Buch zertrampelte, ritt er auf seinem schwarzen Hengst von dannen und dem Schrei einer anderen Frau entgegen.. Ich war ihm zu wenig Drama.
Doch leider ritt er unter einem Wasserfall durch. Da brach genau in diesem Augenblick ein Eiszapfen ab und durchbohrte Prinz und Pferd in einem Stück.
Seit dem stehen sie da… Wie zwei unförmige Oliven an einen Zahnstocher gespiesst.
Und danach wurde nie wieder eine Frau von einem Prinzen gerettet. Weil alle Prinzen diese Geschichte gelesen haben und sich nun bei jedem Hilfeschrei einer Frau in die Hosen machen.
Darum gab es fortan auch keine dramatischen Kindergeschichten mehr. Weil diese Geschichten keinen Sinn mehr machen ohne die Prinzen. Endlich durften alle einfach glücklich sein. Und in Ruhe Äpfel essen, Haare abschneiden und Omis besuchen.
Uff… Happy End doch noch knapp hin bekommen.