Jazz
Dieses Jazzkonzert… Es geht mir nicht aus dem Kopf. Eigentlich wollte ich nicht darüber schreiben weil ich mich völlig blamiere damit. Aber es raunt mir zu dieses Jazzkonzert – ununterbrochen…: „Schreib über mich. Tu es.“ Ich glaube es will, dass ich mich blamiere um sich zu rächen.
Na gut. Mach ich ihm diese Freude. Gebe ich ihm seine Rache. Dafür, dass ich es bereits nach einer halben Stunde verlassen habe.
Es war die kürzeste Liebesbeziehung meines Lebens.
Zuvor war ich über eine Woche krank zuhause. Zu Tode gelangweilt von ewigen Selbstgesprächen, jeden Witz hatte ich mir bereits erzählt, jedes Leid mit mir durchgekaut. Ich hatte mir nichts mehr zu erzählen, kannte mich in- und auswendig. Und es war klar – ich brauche ein Abenteuer.
Also durchforstete ich ein paar Eventkalender und landete bei diesem Jazzkonzert. Ein Trio wie ich es am liebsten mag im Jazz – Kontrabass, Klavier und Schlagzeug. An einem Ort, den ich eigentlich mag, jedoch mied seit ich mir dort mit ein paar Freunden vor vielen Jahren aus Versehen eine Überdosis Hanftee verpasste.
Ich zögerte keine Sekunde, knallte mir Schminke ins immer noch bleiche Gesicht, versuchte meine Haare in eine nachvollziehbare Form zu bringen, verliess fast ein wenig wehmütig meine ausgebeulte Trainerhose und fuhr los. Meinem Abenteuer entgegen. Mit Schmetterlingen im Bauch, so wie sich das gehört wenn eine neue Beziehung beginnt.
Ich war noch nie zuvor an einem Jazzkonzert. Obwohl ich Jazz liebe. Und ich war mir sicher – es wird der Abend meines Lebens.
Am Ort angekommen wurde ich ein wenig nervös. Weil sie uns beim letzten Mal raus schmissen weil sie dachten, wir hätten weissichnichtwas für Drogen konsumiert. Obwohl wir zuerst nur bleich und still an einem Tisch sassen, später einer von uns schwankend auf dem Boden sass und behauptete, er sei auf einem grossen Schiff und schlussendlich alle von uns mit dem Kopf über einer Kloschüssel hingen.
Es hätte ja durchaus sein können, dass jemand da 25 Jahre lang arbeitet, mich wieder erkennt weil ausser dem Giraffenweibchen im Zürcher Zoo keine andere Frau so gross ist wie ich und mich erneut rausschmeisst.
Aber niemand hechtete mir entgegen um mich anzuschreien und ich setzte mich in die zweite Reihe wo noch einer der letzten Plätze frei war.
Ich starrte gebannt auf die Bühne. Voller Erwartung. Voller Ehrfurcht. Bereit dafür, mein ganzes Leben über den Haufen zu werfen und eine Karriere als Jazzgroupie zu starten.
Und es begann. Das erste Jazzkonzert meines Lebens.
Drei grossartige Musiker liebkosten spielend ihre Instrumente, verflossen beinahe mit ihnen und spielten Unglaubliches.
Doch leider machte das Gesamte absolut keinen Sinn.
Null.
Es klang, als würden einfach drei beliebige Soloaufnahmen gleichzeitig abgespielt. Das war nicht der Jazz den ich kenne und liebe. Das war Freejazz. Und niemand hatte mich vorgewarnt.
Da ausser mir niemand erschrocken aussah, war ich mir ganz sicher – ich bin die einzige hier, die diese Musik nicht versteht. Die einzige, die mit jedem Takt nervöser wird. Meine Beine begannen unkontrolliert zu zappeln, regelmässig entfuhr mir ein lautes Keuchen und mein Hirn versuchte wie irr, irgend eine Logik in der Musik zu finden. Vergebens.
Nach dem dritten Stück schaffte ich es nicht mal mehr zu applaudieren. Es wäre die grösste Lüge meines Lebens gewesen. Ich fand diese Musik einfach nur nervtötend.
Ich wollte weg hier. Sofort und für immer. Doch der Raum war klein und ich wusste, dass ich mich nicht unauffällig davon stehlen konnte. Alle würden es sehen. Alle würden wissen, dass ich diese Musik nicht verstehe. Dass ich eine von diesen Musikdummies bin, die Hinterwäldlersachen wie Vierviertel-Takte spielen. Eine von diesen Langweilern die schauen, dass das was sie spielen, zu dem passt, was die anderen spielen.
Also blieb ich. Ich bin Musikerin und habe eine Ehre zu verlieren. Und es konnte durchaus sein, dass mich jemand kannte dort. Ich musste durchhalten, das war klar.
Meine Beine zappelten immer wie wilder, manchmal spickte es mich beinahe von Stuhl. Meine Hände formten sich zu Fäusten und meine Fingernägel bohrten sich tief in in meine Handflächen. Ich keuchte nicht mehr sondern japste um Luft.
Und urplötzlich… Nahm ich meine Jacke, stand auf und stolperte über x Beine fluchtartig dem Ausgang entgegen.
Vor dem Haus drehte ich mir eine Zigarette, fluchte laut und schwor mir, nie wieder in dieses Lokal zu kommen. Irgend einen Scheisstrip verpasst es mir jedes Mal.
Meine Ehre ist am Arsch und ich werde fortan eine Burka tragen wenn ich in dieser Stadt spiele.
Aber ich lebe noch.
Und weiss nun: Langweilige Selbstgespräche werden massiv unterbewertet. Ich ergebe mich ihnen in Zukunft voller Demut.