Ich sehne mich nach dem Sehnen nach einer Abwaschbürste

Ich kann mich noch genau an den Moment in meiner Kindheit erinnern, als mein Vater sagte: „Ich verstehe einfach nicht, wie Menschen ohne eine Abwaschbürste leben können.“
Ich hab mir das als überlebenswichtige Info gemerkt. Bis heute kommt mir dieser Satz regelmässig in den Sinn. Wie so eine Alarmfunktion meines Hirns, die mich regelmässig daran erinnert, dass ich meine Beziehung zu Abwaschbürsten überprüfen sollte um zu überleben.

Viele Jahre lang hatte ich eine. Es war ganz sicher etwas vom Ersten das ich kaufte, als ich meine erste eigene Wohnung hatte. Und obwohl ich sie nie brauchte, beruhigte mich ihr Anblick. Weil ich mit ihr die Sicherheit spürte, dass ich alles überleben werde.
Doch irgendwann fiel mir auf, dass sie verschwunden war. Wahrscheinlich blieb sie bei einem meiner unzähligen Umzüge irgendwo liegen. Und ich erschrak. Fragte mich, wie ich das nicht hatte bemerken können. Wie es möglich war, dass ich immer noch lebte.
Und wagte etwas, was mich unglaublich viel Mut kostete – ich kaufte keine Neue. Lebte fortan ohne Abwaschbürste. Und ganz ehrlich – ich sehnte mich keine Sekunde lang nach einer Neuen.
Ich weiss, es ist ein grosses Outing und wird mich wohl ein paar meiner Flaschenpost-Abonnent*innen kosten.
Ich verstehe es.

Ich versuchte bereits, mich therapieren zu lassen. Doch als mich meine Therapeutin sprachlos mit grossen Augen anstarrte als ich sagte: „Ich würde mich so gerne nach einer Abwaschbürste sehnen“, wusste ich sofort, dass es ein so grosses Tabu ist, es nicht zu tun, dass ich das nie wieder einer Therapeutin gegenüber ansprechen darf wenn ich möchte, dass sie mich weiter therapiert. Ausserdem denke ich, dass ich die einzige auf der Welt bin mit diesem Problem. Denn ich finde einfach keine Selbsthilfegruppe für Menschen, die keine Sehnsucht nach Abwaschbürsten verspüren.
Ich fühle mich komplett alleine. Untherapierbar verloren.
Ausserdem bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich noch lebe, weil überleben ohne Abwaschbürste ja gar nicht möglich ist, oder ob ich ein Geist und in irgend einem Hologram gefangen bin und ich mir euch alle bloss einbilde.

Heute ist ein düsterer Tag.