Die Welt gehört den Unperfekten
Ich habe Mist gebaut. Schon des Öfteren.
Von einem Mal will ich erzählen.
Ich habe mit einer Aktion vor ein paar Jahren einer Frau ziemlich übel weh getan. Nicht bloss so ein kleines Kavalierinnendelikt. Die Kavalierin hatte ich grad mal kurz zuhause vergessen.
Bis vor einer Woche konnte ich das erstaunlich gut verdrängen und mein schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen.
Doch dann – urplötzlich… wollte ich mit ihr darüber sprechen. Es war einfach klar – jetzt ist der Moment. Jetzt will es besprochen werden.
Erst in dem Moment als ich mit ihr sprach, wurde mir bewusst, wie mistig dieser Mist war den ich da kreiert hatte.
Und ich brach innerlich zusammen. Rotzte später das Bett eines Mannes voll, dachte, meine Daseinsberechtigung hätte sich in Luft aufgelöst, ich sei ein durch und durch schlechter Mensch und hätte es verdient, dass ich für immer und ewig dafür büssen müsse. Auswandern war so ziemlich die einzige Möglichkeit in meinem Kopf um jemals wieder ein einigermassen normales Leben führen zu können da mich bestimmt alle hassen würden, die davon erfahren.
Denn eines war klar: Geliebt werde ich nur wenn ich fehlerfrei bin.
Am nächsten Tag ging ich in eine Kirche, schrieb alle jemals begangene Fehler auf, die mir in den Sinn kamen und starrte fassungslos auf die Liste, die ganz ehrlich…: lang war.
Wie konnte es sein, dass ich nicht schon längst vom Blitz getroffen wurde? Wie konnte es sein, dass mir das Leben immer noch Schönes schenkt? Wahrscheinlich ist das Leben ein wenig schwer von Begriff und die Blitze einfach nicht mehr so treffsicher wie in ihren jüngeren Jahren.
Und wie konnte es sein, dass einige Freund*innen von Fehlern von mir wussten und ich immer noch geliebt werde? Irgendwas läuft da gewaltig schief. Da war ich mir sicher.
Weinend erzählte ich all meine Fehler der leeren Kirche. Bat um Verzeihung. Beteuerte, dass ich mir Mühe geben werde, ab nun keine Fehler mehr zu machen. Oder wenn, dann nur klitzekleine.
Und hoffte so sehr, dass meine Worte gehört würden. Von wem oder was auch immer.
Und plötzlich war in meinem Kopf dieser Satz: „Um verzeihen zu können braucht es keine gute Rechtfertigung der Taten. Es braucht bloss das Akzeptieren, dass wir alle Fehler machen.“
In mir wurde alles still.
Nur noch dieser Satz war da.
Und es begann sich eine nie zuvor gefühlte Ruhe auszubreiten.
Denn plötzlich war mir glasklar: Es ist ok, Fehler zu machen.
Es ist ok, unperfekt zu sein.
Das bedeutet einfach nur, dass man da noch was dazu lernen kann. Nicht aber, versagt zu haben.
Es gibt nicht die Anforderung – und zwar an garreinniemanden auf der Welt – dass wir perfekt zur Welt kommen und unser ganzes Leben lang perfekt bleiben.
Und dann kam die Liebe. Ein so endlos grosser Schwall an Liebe. Für alle, die aus meiner Sicht Fehler gemacht haben und mir keine gute Rechtfertigung lieferten oder ich mir keine von allein zusammenreimen konnte. Sogar für die, die selber nicht bemerken, dass es nicht so toll war was sie taten. Denn es ist ok, dass sie Fehler machen.
Und so viel Liebe für mich selber. Denn augenblicklich hatte ich mir alles verziehen. Und wusste, dass auch ich mich selber lieben darf mit all meiner Unperfektheit.
Mit einer feierlichen Demut in mir ging ich aus der Kirche raus.
Weg war das hohe Pferd des Verurteilens von anderen. Weg war der immense Druck der Einstellung, dass ich nur Liebe verdient habe wenn ich fehlerfrei bin.
Und eine Ahnung von einer komplett neuen Denkrichtung durchdrang mich wie winzige, erfrischende Nebeltropfen: Das bedeutet doch, dass es nicht mal Einsicht braucht, damit uns verziehen wird!?
Wenn Fehler machen ok ist, muss man es nicht zuerst merken, dass es ein Fehler ist bevor einem verziehen werden kann. Sonst wäre es ja nicht ok, Fehler zu machen.
Und auch mein selbstgefälliger Stolz, dass ich immer allen verzeihe sobald sie einsichtig sind, begann zu schwinden. Denn ich begann den Verdacht zu hegen, dass dies erst Level 1 ist. Nächstes Level ist bedingungsloses verzeihen. Bedingungsloses lieben.
Es muss niemand an ein Kreuz genagelt werden damit vergeben wird. Es braucht keine Sühne. Es braucht einzig und alleine bedingungslose Liebe.
Heute war ich wieder bei dieser Kirche. Ich war müde und legte mich auf dem Parkplatz in mein Auto um ein wenig zu dösen. Dadurch bemerkte ich nicht, dass mich eine Beerdigungsgemeinschaft beinahe komplett einparkierte.
Bei meinem Versuch, mich da raus zu manövrieren, zerstörte ich meinen einen Rückspiegel komplett und den eines anderen Autos halb.
Und zum ersten Mal fiel es mir so leicht wie ein Federflug, auf einen Zettel meine Nummer und die Worte: „Ich bin schuld am Schaden an ihrem Spiegel“ zu schreiben. Einen Fehler zuzugeben.
Weil ich wusste – es ist ok. Das kann passieren. Niemand wird vom Blitz getroffen deswegen.
Ich weiss jetzt einfach, dass ich üben muss, besser zu manövrieren.
Es ist nicht ok, dass ich diese Frau verletzt habe. Sonst wäre es ja kein Fehler. Aber Fehler sind ok. Ein Widerspruch? Oder ein Hinweis auf Level 3, wo nichts mehr als Fehler betitelt wird?
Wer weiss… Ich erforsche nun mal Level 2.
Und hier ist ok, dass ich es damals nicht besser konnte und noch lernen muss, wie ich eine solche Situation nicht mehr kreiere.
Es ist ok, dass mir das nicht in die Wiege gelegt wurde.
Und es ist ok, wenn einige nicht verstehen können, warum ich das gemacht habe.
Denn ich weiss – was für mich einer Erleuchtung gleicht, haben viele bereits gelernt. Und deren Liebe ist bedingungslos und die einzige, die mich frei mich selbst sein lässt auf meinem ureigenen Lernweg.
Liebe, für die ich perfekt sein muss, oder die Rechtfertigung verlangt, interessiert mich nicht mehr.
Und noch etwas weiss ich nun mit allergrösster Sicherheit:
Es stimmt, dass wir hier sind um zu lernen.
Meine Daseinsberechtigung verliere ich nicht durch Fehler sondern durchs perfekt sein.
Die Welt gehört den Unperfekten.