Das Geheimnis goldener Turnschuhe
Ich warte vor einer roten Ampel. Lange.
Überlege, ob es hier Kameras gibt, sie mich gespeichert haben und jetzt mit ewig langem Warten vor Ampeln bestrafen, weil ich wieder mal einige Verkehrsregeln kurzfristig vergessen habe.
Gelangweilt schaue zum Gehsteig rüber. Da steht ein Mann rum. Laute Musik dröhnt aus der Box mit Militärdesign, die er sich um den Hals gehängt hat, sein Kleiderstyl ist eine wundersame Mischung zwischen Freak und Hip Hopper und ich bewundere seine Schuhe.
Glänzend goldene Turnschuhe.
Ich denke darüber nach, zu welchem Anlass man solche Schuhe trägt und irgendwann fällt mir auf, dass es merkwürdig ist, dass er immer noch da steht.
An einer Strasse vor einer Wand – nichts hier ist stehen-bleib-würdig.
Er wirkt nervös, schaut hektisch in alle Richtungen. Ich frage mich, ob er gleich vor meinen Augen an die Wand pisst.Doch plötzlich klaubt er einen Stift aus seiner Tasche. „Aah – ein Tager-Boy“ denke ich, bin froh, dass meine Vermutung falsch war und amüsiere mich darüber, dass es ihm offensichtlich wichtig ist, dass ihm niemand zusieht – die ganzen Menschen in der Auto-Kolonne jedoch für ihn nicht existent sind.Ich bin gespannt – so wie er aussieht, muss bald was unglaublich Originelles oder Rebellisches auf dieser Wand stehen.
Er schreibt schnell, und mir kommt in den Sinn, dass diese Jungs auch gerne einfach ihren „Künstler“Namen auf Wände schreiben – warum weiss ich nicht, aber es hat bestimmt einen sehr wichtigen Grund. Und ich bin noch gespannter.
Wie er sich wohl nennt, der Mann mit den coolsten Turnschuhen der ganzen Stadt? Wie wohl der Schriftzug aussieht, den er sicher stundenlang geübt hat und jetzt auf der ganzen Welt schwungvoll auf Wände schmiert?
„Jesus“ lese ich. Lese nochmals, bestimmt hab ich mich geirrt. Doch da steht ganz klar „Jesus“ und dies nicht mal mit originellem Schriftzug. Ich bin verwirrt. Nennt er sich Jesus?
Ah nein, ich hab’s! Das Originelle oder Rebellische kommt erst noch! Das Kunstwerk ist noch nicht fertig! Er schnappt sich einen zweiten Stift. Einen Roten.
Malt ein grosses Herz um den Namen und zottelt von dannen.
Die Ampel wird Grün und ich bin so froh, hat mich diese Stadt bestraft. Nie im Leben wäre ich von alleine darauf gekommen, zu welchem Anlass man goldene Turnschuhe trägt.