Beste Freundin
Falls dir eine Fahrradfahrerin von einer Idiotin im grünen Auto erzählt, das bin ich. Bitte sag ihr, dass es mir unendlich leid tut.
Heute fuhr ich in Rubigen über einen Kreisel. Von links kam die Bikerin angeflitzt, ich schaute ihr zu und fuhr in den Kreisel rein als sie genau auf meiner Höhe war. Ich sah sie, hatte aber die eigenartige, nicht mehr nachvollziehbare Idee, dass wir zusammen durch den Kreisel fahren können.
Sie schrie: „Gehts noch?“, ich starrte sie erschrocken an, sagte: „Ups“ und gab Gas um ihr den Weg frei zu machen.
Danach hörte ich nicht mehr auf mit Gas geben, ich hatte solche Angst dass sie mich einholt und wieder anschreit. Aber sie war schnell. Extrem schnell.
In Münsingen war Stau und ich sah sie im Rückspiegel näher kommen. Worauf ich kurzerhand entschied, mich aus dem Staub zu machen und in irgend ein Quartier einbog.
Irgendwann schaute ich wieder in den Rückspiegel und nicht weit hinter mir war sie wieder – die schnellste und wendigste Bikerin, die ich je gesehen habe.
Sie bog jedoch ab und ich war erleichtert. Tuckerte mit 30 durch das Quartier, flirtete beim Bahnübergang vergnügt mit einem anderen Autofahrer und als ich irgendwo anhalten musste weil gerade eine Horde Kühe die Strasse überquerte, hatte ich den Schreck schon fast wieder vergessen.
Die Bäuerin winkte mir lächelnd zu, ich freute mich weil sie so nett war obwohl ich nichts anderes tat als zu warten, die Welt war wieder heil, niemand hier wusste von meiner Schandtat in Rubigen, ich konnte mich entspannen, schaute nach Rechts und da stand……die Bikerin neben meinem Auto.
Mein Herz plumpste mit einem lauten Knall in meinen Magen runter, ich legte einen Schnellstart hin, der Knight Rider hätte erblassen lassen und raste davon.
Würde sie mich nun für immer verfolgen? Ist sie überhaupt real? Falls ja – ist sie so schlau wie schnell, hat sich meine Nummer gemerkt und ruft die Polizei? Zwei Sekunden nach diesem Gedanken kam mir die Polizei entgegen. Glücklicherweise konnte ich den erneuten Impuls, aufs Gas zu treten unterdrücken und sie wirkten nicht so als hätten sie gerade die Bösewichtin gefunden, die sie seit drei Minuten suchten.
Ich war inzwischen in Konolfingen und es kann gut sein, dass die Bikerin wusste, dass das mein Heimatdorf ist und hier meine Schwester wohnt, mit der sich echt niemand anlegen will. Auf jeden Fall war sie endgültig weg.
Aber das schlechte Gefühl ist geblieben. Denn eigentlich wäre die Bikerin meine Freundin. Wie alle anderen, die irgendwie am Verkehr teilhaben. Alle, die irgendwo meinen Weg kreuzen wenn ich im Auto sitze, sind augenblicklich meine Freunde, meine Verbündeten.
Wenn ich lange hinter dem selben Auto fahre und es plötzlich abbiegt ohne mich, dann bin ich traurig und vermisse es.
Wenn ich in der Nähe bin, fährst du nie allein. Ich bin mit dir. Und will, dass es dir gut geht.
Ich halte an für Fussgänger*innen auch wenns keinen Zebrastreifen hat. Weil es sie so glücklich macht.
Ich gebe anderen den Vortritt auch wenn hinter mir niemand mehr kommt und sie nach mir hätten losfahren können. Auch einfach weil es sie glücklich macht.
Mit der selben Motivation fuhr ich in den Kreisel obwohl da schon die Bikerin war. Ich dachte – das machen wir zusammen! Wir zwei kurven nebeneinander durch den Kreisel. Meine neue beste Freundin und ich.
Aber ich habe leider kurz vergessen, dass sie in mich hätte rein fahren müssen um auf der richtigen Seite zu landen bei der Ausfahrt vom Kreisel. Und das nervt mich so! Ich will alles richtig machen.
Ich bin die Neue unter all den coolen, erfahrenen Autofahrer*innen. Ich kann das erst seit einem halben Jahr. Und es ist wie wenn du die Neue an einer Schule bist – du willst auf keinen Fall negativ auffallen. Du gibst dir alle Mühe, völlig locker zu wirken obwohl dir der kalte Schweiss den Rücken runter läuft. Du krallst dich am Steuer fest damit niemand deine Hände zittern sieht. Und nie! Wirklich niemals! Darf es passieren, dass dich wer anschreit und alle anderen hören, dass du grad grässlich versagt hast.
Ich gebe echt alles. Und mache trotzdem dauernd merkwürdige Sachen. Blinke wenn abbiegen gar nicht möglich ist, hupe weil ich vergesse, dass ich nicht überall drauf drücken darf beim Steuer, bleibe im Wald im Boden stecken, setze mich ins Auto und suche ewig lang den Schlüssel, der immer noch draussen im Schlüsselloch steckt, bei jeder 5. Kreuzung würge ich das Auto ab und ich will gar nicht wissen, wer mir schon alles beim Parkieren zugesehen hat.
Darum liebe Bikerin… Darum konnte ich nicht bei den Kühen stehen bleiben und mich bei dir entschuldigen.
Darum habe ich dich nur mit grossen Augen angestarrt.
Ich bin die Neue. Und ich weiss, dass du nie meine Freundin sein wirst.
Es war sehr schön mit dir in den ersten 2 Sekunden.