Gosteli von Äckenmatt
Ich liebe Dokus! So sehr, dass ich kürzlich blind vor Liebe eine Doku über einen Mörder angeklickt habe. Anders als mit blinder Liebe kann ich es mir wirklich nicht erklären – ich schaue sonst nichts mit bösen Menschen. Oder spule erbarmungslos wenn sie vorkommen im Film – ich will sie einfach nicht sehen.
Aber diese Doku hab ich mir bis ans bittere Ende angetan. Eine meiner dümmsten Aktionen dieses Jahres. Ich habe es nur knapp ohne Therapie geschafft, sie zu verarbeiten. Und bin sehr froh darum.
Es reicht wirklich, dass mich Ärzte auslachen wenn ich mit irgend eine Lappalie zu ihnen gehe und mit ängstlich leiser Stimme sage: „Ich möchte einfach wissen, ob ich nun bald sterbe.“
Der kleinste Lach-Hauch im Gesicht der Therapeutin bei meinen Worten: „Ich möchte gerne eine Doku verarbeiten“, hätte mich zutiefst gekränkt.
Ich bade noch heute nicht in tiefem Meerwasser weil ich mal einen Teil vom „Weissen Hai“ gesehen habe in meiner Kindheit. Ehrlich gesagt bade ich nicht mal im Murtensee wenn ich den Boden nicht mehr sehen kann. Ja, ich habe auch gehört, dass es da keine Haie gibt. Aber es kann jederzeit sein, dass ein Fisch zu einem Hai mutiert! Alles mutiert irgendwie! Warum sollte also nicht ein Murtenfisch zu einem Hai mutieren?
Darum traue ich auch keiner Blindschleiche. Es kann jede Blindschleiche die erste sein, die von einer Echse zu einer Giftschlange mutierte. Es sind bestimmt schon viele Menschen umgekommen weil sie nicht an die Mutationen gedacht haben.
Ich werde ganz sicher nicht einer von ihnen sein.
Ich habe gelernt aus meinem Doku-Falschklick. Und mir seit dem nur noch eine Doku angesehen. Weil ich mir selbst nicht mehr vertraue und meistens schaue, dass ich weit weg bleibe von Dokus. Es könnte mir jederzeit wieder ein Blinde-Liebe-Falschklick passieren.
Beim Letzten ist es mir jedoch gelungen, trotz Liebe klar zu sehen. Es war eine über Archäologen. Die waren lustig. Sie holten alles aus den Gräbern, die sie entdeckten und beschwerten sich gleichzeitig über Grabräuber.
Und eine Mumie die sie fanden, liessen sie im Grab liegen. „Aus Respekt gegenüber der Toten lassen wir ihr ihre Ruhe“ sagten sie. Der anderen Toten, die reich geschmückt mit Gold und Steinen war, zollten sie weniger Respekt. Geschmückte Tote brauchen einfach weniger Ruhe. Ist ja logisch. Geschmückte wollen gesehen werden! Niemand schmückt sich schön um dann für immer in einem Steinsarg zu liegen. Das wäre die komplette Schmuckverschwendung.
Sie amüsierten mich so sehr, dass ich auch Archäologin werden wollte. Ich wollte den Rest meines Lebens damit verbringen, im Boden rum zu buddeln und mich über jede Scherbe zu freuen, die ich finde. Und geschmückte Tote aus ihren Steinsärgen zu befreien, in die sie sich versehentlich gelegt haben.
Nichts erschien mir in diesem Moment schöner als das.
Also ging ich in den Wald von Äckenmatt und begann mein neues Leben.
Natürlich folgte ich nicht dem Pfad, denn da waren bestimmt schon tausende andere Archäologen. Ich wollte nicht bloss die beste Archäologin werden, sondern auch die mutigste. Und kämpfte mich durchs Gestrüpp. Wissend, dass jederzeit ein Fuch zu einem Löwen mutieren kann. Es war mir egal. Archäologen kennen keine Furcht!
Und mein Mut wurde belohnt. Bereits nach kurzer Zeit hatte ich eine silberne Schüssel gefunden und ein Stück Keramik. Beides mindestens 3000 Jahre alt – eine Archäologin sieht dies auf den ersten Blick.
Ich wusste, es wird noch mehr folgen. Diese Schüsseln sind immer in der Nähe von Königinnen-Gräbern. Und Königinnen sind geschmückt, darum würde ich sie aus dem Grab nehmen dürfen.
In der Doku habe ich gelernt, dass man das Gefundene nach ihren Findern benennt. Es wäre der Gosteli-Schmuck. Weltbekannt als der wertvollste Fund, der jemals in Äckenmatt gemacht wurde. „Der Gosteli aus Äckenmatt“ würden die Leute im Museum andächtig flüstern.
Und ich würde in einer Ecke stehen im Museum, das Ganze beobachten und mit wichtiger Miene mit dem Kopf nicken.
Sie würden mich loben weil ich den Grabräubern zuvor kam und das Grab nicht bereits leer war, als ich es antraf. Weil bloss dank mir die Königin von ihrer langweiligen Ruhe befreit wurde.
Ich war so stolz bei diesen Gedanken und durchsuchte wie irr den ganzen Äckenmattwald. Ich fand noch eine Schaumstoffmatte, einen Veloanhänger und eine Säge. Alles auch mindestens 2500 Jahre alt, jedoch leider zu gross um es mit nach Hause zu nehmen.
Die Königin fand ich bisher nicht. Aber ich weiss, sie liegt da irgendwo und wartet auf mich.
Ich werde dich finden meine Liebe.
Ich werde dich vor den Grabräubern retten. Dich von der elendig langweiligen Ruhe befreien.
Ich werde dich zum „Gosteli von Äckenmatt“ machen.
Es ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.
Auf dem Foto: Die Silberschüssel