Romantisch
„Hach, wie romantisch“ sagen sie wenn ich erzähle, wie ich wohne.
Sah ich auch so, bevor ich selber auf einen Wagenplatz zog.
Und dann… Sass ich neben der Pfütze auf meinem Bett und schaute, dass der Rest des Regens im Eimer landete. Es regnete ganz schön lange…
Und dann… Kam ich im Winter um 3 Uhr morgens von einem Konzert nach Hause, das Feuer war seit 8 Stunden aus.
Schon mal in einer Gefriertruhe geschlafen? Ca. so wars.
Und dann… Musste ich die Toilette leeren gehen. Damals noch ein Campingteil, das man in eine normale Toilette schüttet. Manchmal verstopft es das Ausflussrohr mit Toilettenpapier, dann muss man schütteln. Und manchmal kommt dann schwallweise so viel aufs Mal raus, dass es dir ins Gesicht spritzt…
Ich beschloss damals, dass es manchmal voll ok ist, aus purem Selbstmitleid zu weinen.
Und dann… musste ich Feuer machen. Und hätte trotz meiner Zerstreutheit daran denken sollen, die Klappe im Ofenrohr zu öffnen. Wenn man nicht daran denkt, kommt der ganze Rauch drinnen aus dem Ofen anstatt draussen. Und natürlich warte ich als ebenso ungeduldiger wie zerstreuter Mensch nicht neben dem Ofen und schaue ob alles gut läuft sondern gehe Frühstücken.
Schon mal in einer Räucherkammer gewohnt? Ich tu das regelmässig.
Und dann… sagte die Frau der Prämienverbilligung, dass wir immer noch als Konkubinat gelten weil ich am selben Ort wie der Vater meiner Tochter wohne. Wir sind seit Jahren kein Paar mehr, unsere Tochter ist 20 und längst ausgezogen.
Ich hab heute sehr doll gestritten mit ihr. Mit der Verbilligungsfrau, nicht mit meiner Tochter. Aber obwohl ich finde, dass ich sehr beeindruckend wütend sein kann und in solchen Momenten wirklich die allerübelsten Wörter so lockerflockig aus mir rauspreschen als sei es ganz normal, dass sie von einer Frau in meinem Alter ausgesprochen werden, liess sie sich nicht beirren und sagte mir, ich könne das bloss ändern wenn ich jemanden aus dem Grossrat kenne und dem sage, er solle gefälligst ein neues Gesetz machen.
Ich kenne niemanden aus dem Grossrat. Und finds gemein, dass ich mich mit einem von denen anfreunden muss bloss um nicht als verpaart mit meinem Ex zu gelten.
Es wäre auch dem Grossrat gegenüber nicht fair, denn er würde denken er hätte jetzt endlich mal eine Freundin, die romantisch wohnt und würde mich sicher besuchen wollen. Und dann irgendwann realisieren dass ich ihm bloss was vormache um nicht so viel Krankenkasse bezahlen zu müssen.
Er würde so wütend werden, dass er zum Biest mutieren und ganz viele Gesetze erlassen würde, die Menschen wie mir das Leben schwer machen.
Z.B. dass man kaum wo in Wägen wohnen darf. Ah… Dieses Gesetz gibt es ja schon.
Weil wir hier einfach keine Menschen wollen, die romantisch wohnen. Nicht wenn der Rest der Bevölkerung in totalsanierten, überteuerten Häusern wohnen muss. Nicht wenn das bedeutet, dass noch mehr Menschen so nach Rauch stinken wie diese Mirjam und sich mit Toilettensauce vollspritzen.
Nicht wenn diese Menschen nicht bereit sind, elendig viel für eine Krankenkasse zu bezahlen.
Nicht wenn diese Menschen Grossräten eine Freundschaft vorspielen.
Nein!
Ich hab den Faden verloren.
Eigentlich wollte ich nur dieses schöne Bild meines Fensters teilen und irgendwas passendes dazu schreiben.
Aber ich bin froh, wissen nun alle Bescheid über meine Laune.
Denn es gibt tatsächlich Menschen, die mich schlecht gelaunt lieber mögen als gut gelaunt. Hab ich vorgestern erfahren. Und frage mich nun, ob ich völlig auf dem Holzweg bin wenn ich immer versuche, so oft wie möglich glücklich zu sein. Denn was, wenn mich dann niemand mehr mag? Und ich mich doch noch mit Grossräten anfreunden muss um nicht ganz alleine zu sein?
Doch… nicht mal die Grossräte werden mich wollen. Sie können unmöglich glücklich sein wenn andere glücklich sind. Denn sonst gäbe es doch komplett andere Gesetze?! Z.B. wäre nicht das Kriegsmaterialausfuhrgesetz gelockert worden in der Herbstsession.
Klar – ein paar Schweizer macht das sehr glücklich weil sie nun noch reicher werden. Aber ich nehme mal an, dass weitaus mehr Menschen sterben als glücklich werden durch die Lockerung dieses Gesetzes.
Also ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, ob der Grossrat diese Lockerung gemacht hat. Ich kenne mich nämlich überhaupt nicht aus mit all diesen Räten und kann mir schon seit Adolf Ogi keine Bundesratsnamen mehr merken. Damals war ich noch jung und mein Hirn noch eher dazu bereit, sich dummes Zeug zu merken. Weil ich noch so trainiert war von der Schule.
Absolut sinnlos, dir das zu merken? Dann merk es dir! Sonst bleibst du sitzen!
Ich glaube Adolf Ogi wäre gar nicht so ein schlimmer Mensch gewesen wie sein Vorname behauptet. Aber trotzdem ist er verschollen. Sie wollten ihn nicht mehr. Selbst wenn man wirklich befreundet ist mit allen Grossräten, ist man plötzlich alleine.
Es gibt also keinen Ausweg für mich. Ich muss öfters schlecht gelaunt sein.
Vielleicht spreche ich nun einfach regelmässig mit den Leuten der Prämienverbilligung. Sie sorgen bereits mit der Musik in der halbstündigen Warteschlaufe sehr zuverlässig dafür, dass alle schlecht gelaunt sind, die sie anrufen. Hat das System?
Mögen sie Menschen, die so mit ihnen sprechen wie ich das tu? Versuchen auch sie krampfhaft, schlecht gelaunt zu bleiben damit sie nicht einsam werden?
Sind sie meine Verbündeten?
Ich werde sie fragen. Sie können mich unmöglich vergessen haben, so oft wie sie alle „Frau Gosteli“ sagten in der Hoffnung, sie könnten meinen Redeschwall bremsen und auch mal was sagen.
Man sollte mich einfach öfters „Frau Gosteli“ nennen. Das würde meine schlechte Laune auch fördern.
Meinen Redeschwall bremst es jedoch nicht. Vielleicht aber meinen Schreibschwall. Ich probiers.
Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Gosteli Frau Goste nein es hilft nicht. Aber ich hör jetzt trotzdem mal auf weil ich doch eigentlich wirklich nur dieses Foto teilen wollte damit ihr alle wisst, wie romantisch ich wohne.