Unverhofftes Glückspotential
Es gibt so Sachen, die mag ich einfach nicht. Und es nervt mich, dass sie ungebeten zu meinem Leben gehören. Kochen z.B. Oder Altglas entsorgen. Staubsaugen. Schuhe kaufen.
Es verdirbt mir jedes Mal die Laune wenn jedes noch so spannende Ablenkungsmanöver nichts mehr bringt und ich einfach weiss – jetzt muss ich es tun.
Gestern wars Altglas und Papier entsorgen.
Glücklicherweise kann ich das Papier lose in eine Mulde werfen und muss es nicht mehr bündeln. Beim Gedanken an Papier bündeln spüre ich förmlich, wie mir ein Magengeschwür wächst. Nie schaffe ich es, diese Dinger so zu bündeln, dass sie nicht wieder auseinander fallen wenn ich sie hoch hebe. Und nie gelingt es mir, Reiskartons so zusammen zu drücken, dass sie nicht die ganze Form vom Bündel kaputt machen.
„Nein, mein Leben ist jetzt nicht zerstört bloss weil ich das tun muss! In einer halben Stunde ist es vorbei! Ja, ich werde es schaffen, irgendwann wieder glücklich zu sein.“ Solche Monologe führte mein Hirn auf der Fahrt zur Entsorgungsstelle.
Kaum war ich dort angekommen, kam ein Mann zu mir, der dort arbeitet. „Guten Tag! Hast du eine gute Zeit bei diesem schönen Wetter?“ fragte er. Ich bemitleidete ihn weil ich dachte, dass es fürchterlich sein muss, auf diesem brennend heissen Asphaltplatz zu arbeiten. Und fragte ihn, ob er ab und zu in eine kühle Halle gehen kann. „Ja, das muss ich ab und zu.“ antwortete er. „Aber ich liebe es hier draussen! Wenn ich am Abend weiss, dass ich am nächsten Tag nur ein T-Shirt tragen muss, bin ich glücklich“.
Und ich war augenblicklich auch ein wenig glücklicher. Weil es so viel schöner ist, sich über Hitze zu freuen, anstatt sich darüber zu ärgern. Ich packte alle Standartsätze zur Seite, die in mir bereit liegen um ausführlich mit Fremden übers Wetter lästern zu können – Gemeinsamkeiten sind ja schliesslich wichtig und wenns sonst keine gibt, muss halt das Wetter hin halten – und begann fast ein wenig vergnügt, die Gläser in den Container zu werfen. Ein wenig auch auf Adrenalin. Weil ich das Papier nie von den Gläsern kratze und dann immer schauen muss, dass mich niemand beobachtet wenn ich die beklebten Gläser so schnell wie nur irgendwie möglich entsorge.
Ich verstehs einfach nicht – das Glas kommt in eine Verbrennungsanlage. Warum soll die nicht im Stande sein, auch das Papier zu verbrennen? Wenn die unbedingt so unfähige Verbrennungsanlagen bauen wollen, sollen die das tun. Mir egal. Aber ich unterstütze das ganz sicher nicht.
Niemand bemerkte meine Schandtat und ich ging zum Papiercontainer, der noch fast leer war. Da kam wieder dieser Mann und warf mit voller Wucht ein Cartonrohr rein. „Oh es ist so toll, wenn der Container so leer ist, dass man Sachen bis ganz nach hinten werfen kann, nicht wahr?“ strahlte er mir entgegen. Und ich fragte ihn, ob er schon mal Teller rum geworfen hat. Er strahlte augenblicklich noch mehr. „Komm mit!“ sagte er und nahm mich mit zum Keramikcontainer. „Hier sind manchmal Menschen… Du weisst ja, wie Menschen so sein können… Und dann schnappe ich mir ein paar Teller, werfe sie durch den Container und dann ist alles wieder gut. Hier, nimm!“
Er reichte mir einen Stapel Teller und forderte mich auf, diese im Container zu zerschmettern. Ich nahm sie und warf eines nach dem anderen an die hintere Wand wo sie mit einem wunderbar befreienden Getöse in tausend Stücke brachen.
Dieser lustige Mann wollte gar nicht mehr aufhören und reichte mir immer wie mehr Teller. So lange, bis ich laut lachend fand, es sei nun genug. Ich sei nun wieder glücklich.
Er empfing vergnügt den nächsten seiner Entsorgungsgäste und ich fuhr mit einem riesigen Grinsen im Gesicht nach Hause.
Ich will unbedingt bald wieder entsorgen gehen. Und kaufe absichtlich alles, was man so aus Gläsern essen kann. Auch über Werbung in der Post freue ich mich urplötzlich.
Denn nun weiss ich – Entsorgen kann mich glücklich machen. Was mich dazu bringt, auch ein klein wenig Lust zu haben auf all die anderen Sachen, die ich nicht gerne tu. Denn alles hat das Potential, mich unverhofft glücklich zu machen! So ein Abenteuer!
Ich denke, dieses Jahr schaffe ich es, die Steuererklärung mit nur einer Mahngebühr einzureichen.