Mein Sohn, der Töfffahrer

Ich hatte es schon wieder vergessen. Das Schlimme, das heute passiert ist.
Bis ich eben in einem Beitrag gelesen habe: „Niemand begrüsst mich…“ und es kam alles wieder hoch. Verarbeitungstechnisch muss ich es niederschreiben.

Also:
Ich fuhr durchs Emmental. Glücklich, weil ich mein Auto so eingerichtet habe, dass es sich wie ein Zuhause anfühlt und ich mich nicht mehr ganz so heimatlos fühlte wie vorher.
Vor mir fuhr einer mit seinem Töff. Mist, ich weiss gar nicht, ob man diesem Ding in Hochdeutsch Töff sagt, so fremd sind mir diese röhrenden Psychotransportmittel. Es war ein Grosser. Ich nenn ihn jetzt einfach Töff
Ich beobachtete, wie er zwei entgegenfahrenden Töfffahrern zuwinkte und sie zurück winkten. Und war erstaunt. Intuitiv wusste ich, dass sie sich nicht kannten und sich einfach zuwinkten weil sie beide auf dieser Röhrmaschine sassen.
Ich begann darüber nachzudenken wie es wäre, wenn sich alle Autofahrenden zuwinken würden. Mein rechter Arm würde innert kürzester Zeit aussehen wie der von Poppeie, es gäbe wohl viel mehr Verkehrsunfälle aber wir wären ganz bestimmt trotzdem glücklicher. Auto fahren ist nämlich ganz schön frustierend.
Nonstop ist wer wütend auf mich. Dauernd hupen und fluchen sie mich an und wenn sie winken, dann ist es kein liebes Gewinke sondern ein genervtes.
Es braucht praktisch nichts damit das passiert. Mal kurz vergessen, dass man bei einer roten Ampel darauf achten sollte, wann sie grün wird und schwupps… Man wird von ganzem Herzen gehasst.

Irgendwie beneidete ich die Röhrfahrer. Obwohl ich sie eigentlich ziemlich merkwürdig finde. Kaum scheint die Sonne, packen sie sich in eine Art Neoprenanzug, der wirklich absolut unsexy aussieht, setzen sich einen Topf auf den Kopf, der mir schon beim anschauen Kopfschmerzen bereitet und röhren durch wunderschöne Gegenden, die leider nicht mehr so wunderschön sind seit es die Röhrer gibt, weils dauernd lärmt wie blöd.
Aber… Sie sind ganz bestimmt glücklichere Menschen als Autofahende. Dachte ich. Bis…
Der nächste entgegen-fahrende nicht zurück winkte.
Ich krallte mich mit grossen Augen am Steuer fest. Was war passiert? Wie ging es nun dem Töffenden vor mir? Ob er wohl weint? Der nächste Töff kam angedröhnt. Und wieder winkte der vor mir als wäre er nicht gerade erst kaltblütig ignoriert worden und der andere… Winkte auch nicht zurück!

Mein Magen verkrampfte sich und ich war den Tränen nahe.
Ich war mir so sicher, dass es dem vor mir nun wirklich nicht mehr gut ging.
Er beschleunigte. Wahrscheinlich wollte er mich weit hinter sich lassen damit ich sein wiederholtes abgewiesen werden von seinen Artgenossen nicht weiter beobachten konnte. Doch ich konnte ihn nicht verlassen. Wenigstens ich wollte für ihn da sein. Also beschleunigte ich ebenfalls, versuchte die Erinnerung an die zwei Blitzer zu verdrängen, die mich in der letzten Woche ungefragt fotografiert haben und blieb ihm dicht auf den Fersen.
Es fühlte sich ein wenig so an, als wäre er mein Kind. Und ich musste unbedingt in seiner Nähe bleiben. Ihm den Rücken stärken, falls noch mehr dieser Verräter auftauchen sollten.
Ich überlegte sogar kurz, ob ich ihn überholen sollte um ihm beim vorbei fahren euphorisch zuzuwinken. Einfach damit er wissen würde, dass er nicht ganz alleine ist auf der Welt.
Aber ich blieb hinter ihm. Hoffte inständig, dass die nächsten Töfffahrer wenigstens einen Zentimeter ihren scheiss Arm bewegen würden. Wie kann man bloss so grausam sein und es nicht tun?
Er – mein Sohn – winkte nämlich immer sehr ausgiebig. Musste sogar ein paar Mal seinen Arm ausschütteln, so sehr legte er sich beim Winken ins Zeug.
Es tat mir weh bis in die Knochen. Und ich war bereit, ihm während seiner ganzen Fahrt zu folgen, egal wo hin es mich führen würde. Als auch der nächste nicht winkte, kam ich sogar in Versuchung, ihn zu rammen.
Entweder es gehört zu der Gattung der Töffahrenden, dass man sich zuwinkt oder nicht. Und ganz offensichtlich gehört es dazu! Sonst hätte sich mein Sohn das ganz sicher nicht angewöhnt! Und die ersten zwei hätten auch nicht zurück Gearmwedelt!
Es geht nicht, dass man jemanden nicht grüsst, der einen begrüsst! Nie und nirgendwo! Wer das tut, sollte besser für immer im Neoprenanzug und Ganzkopftopf bleiben damit ich ihn niemals anschauen muss!
Immer noch rast mein Herz wenn ich an die Schmach meines Sohnes denke.

Doch dann… zur Rettung meiner Nerven… kamen wieder drei entgegen gefahren. Und alle winkten. Einer sogar eher als mein Sohn.
Und es ging so weiter. Alle winkten wieder. Je tiefer man ins Emmental kommt, desto besser erzogen sind sie.
Ich beruhigte mich langsam wieder.
Und beschloss nach einigen weiteren Kilometern und winkenden Armen, dass ich meinen Sohn nun wieder alleine lassen konnte. Dass er auch ohne mich klar kommt.
Ich bog ab. Mit dem Herzen voller Stolz. Denn egal, wie viele ihm nicht winkten – er hörte nie damit auf. Er winkte jedes einzelne Mal als würde ihm die Liebe seines Lebens entgegen fahren.
Er ist so ein klein wenig wie der von Brave Heart. Äh… nein. Der hat nicht gewunken sondern allen den Kopf abgehackt mit dem Schwert. Bloss die Armbewegung war eine Ähnliche.

Er war bestimmt ein Autofahrer.