Auf die guten Geister

Eine kleine Geschichte darüber, warum ich davon überzeugt bin, dass es gut wird…
Bzw. ein Beispiel von einem Vorgang, den ich schon x Mal erlebt habe:
Während 8 Jahren arbeitete ich in der Jugendarbeit. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen Job, der gut bezahlt war, wo es mir nicht nach wenigen Monaten langweilig wurde und ich meistens gerne zur Arbeit ging – in erster Linie weil meine Mitarbeitenden so tolle Menschen waren.
Ich konnte mit 50% arbeiten eine relativ teure Wohnung bezahlen in einer Siedlung, wo meine Tochter eine absolut geniale Kindheit erlebte und hatte daneben genügend Zeit um Konzerte zu spielen und meinen 1000 Ideen nach zu gehen.
Irgendwann wurde ich aber auch bei dieser Arbeit unglücklich. Unter anderem weil ich das Gefühl hatte, da nicht mein ganzes Potential leben zu können. Und genau das wünschte ich mir.
Ein Leben, in dem ich mich – meine Talente/Potentiale bestmöglich dem Leben schenken kann.
Aber ich blieb. Weil ich mich da sicher fühlte. Weil ich wusste, dass ich mit nur 2.5 Tagen fixer Arbeit genügend Geld habe um meiner Tochter weiterhin dieses Zuhause zu ermöglichen. Und wurde immer unglücklicher.
Eines Tages sass ich im Wald und erzählte ihm von meinem Wunschleben. Weinte und bat alle guten Geister um Hilfe damit ich dieses Leben leben kann.
Ca. zwei Monate später wurde mir gekündigt. Es brauchte freie Stellenprozente für eine neue Leitung und da ich die einzige im Team ohne Ausbildung war, beschloss der Vorstand, dass ich diejenige sein sollte, die gehen muss. Es kam völlig unerwartet. Wir waren im Team am Möglichkeiten suchen damit niemand hätte gehen müssen und waren zuversichtlich, dass uns das gelingen würde. Doch der Vorstand war nicht interessiert an unseren Ideen – es war klar, ich musste gehen.
Für mich brach eine Welt zusammen. Ich ging nach Hause und verbrachte in den nächsten Wochen ziemlich viel Zeit mit Weinen und Panikattacken aushalten. Ich dachte, dass dies das Schlimmste sei, was mir hätte passieren können. Bei der Anmeldung auf dem RAV war ich immer noch so sehr im Schock, dass ich zu zittern begann wenn ich mir vorstellte, wieder einen fixen Job zu haben wo ich wieder die ohne Ausbildung sein würde oder wie früher für 20.-/Std. irgendwo zu putzen oder zu servieren. Also behauptete ich einfach, ich wolle mich selbständig machen weil mir irgendwer erzählt hatte, dass man so für eine Weile in Ruhe gelassen wird und sich nirgendwo bewerben muss.
Sie schickten mich in einen Kurs für Selbständig-werden-wollende und ich fühlte mich wie eine Betrügerin. Alle hatten einen Plan – Hundesalon starten, Schreinerei gründen, etc. Ich hatte einfach eine endlos lange Liste mit unterschiedlichsten, unzusammenhängenden Ideen, wie ich mit dem was ich mir selbst beigebracht habe, Geld verdienen könnte. Glaubte aber nicht daran, dass es funktionieren würde.
An einem Tag mussten wir einen Vortrag halten über unseren Plan. Ich stand vor diese Leute, erzählte ihnen all meine Ideen und erwartete nichts ausser einem bedrückten Schweigen von den Zuhörenden. Aber… Sie strahlten! Waren begeistert. Und die Kursleiterin schrieb in meinen Bericht fürs RAV, dass sie voll daran glaube, dass ich es schaffen werde. Mit Worten, die mir Tränen in die Augen trieben, so schön waren sie.
Danach hatte ich freie Bahn. Meine RAV-Beraterin war nach diesem Bericht ebenfalls voll davon überzeugt, dass ich den Schritt in die Selbständigkeit schaffen würde, befreite mich längerfristig von Bewerbungspflichten und ich legte los. Machte Werbung für alles was ich kann und schmiss mich voller Hoffnung dem Leben entgegen.
Immer wieder mal mit zünftigen Portionen Panik, jedoch wie ein Stehauf-Frauchen – Zusammenbruch & durchweinte Nächte, am nächsten Morgen kalte Kaffeelöffel auf die Augen um nicht ganz so Zombiehaft auszusehen und weiter machen.
Das war vor drei Jahren. Und ich bin immer noch selbständig. Obwohl mir Corona einen fetten Strich durch meine Konzertrechnung macht und ich keine Entschädigung für abgesagte oder gar nicht erst gebuchte Konzerte erhalte.
Seit drei Jahren mache ich was ich will und liebe. Fühle mich freier, glücklicher und zentrierter als je zuvor.
Und erst vor ungefähr einem Jahr habe ich plötzlich realisiert – mein Wunsch an die guten Geister ist in Erfüllung gegangen! Die Kündigung war das Beste, was mir hätte passieren können und kein einziger Moment der Panik wäre nötig gewesen.

Diese Geschichte hat in mir endgültig ein tiefes Vertrauen ausgelöst – was uns schrecklich erscheint, kann immer der Weg zu dem sein, was wir uns wünschen. Die Möglichkeit ist gross, dass wir eines Tages zurück schauen und sagen: „Zum Glück ist das passiert“.
Was nicht heisst, dass ich nicht immer wieder fast die Wände hoch gehe ob dem aktuellen Geschehen. Ich bin überzeugt davon – genau dieses die Wände hoch gehen gehört zu dem was jetzt passieren muss damit unsere Enkel*innen in einer gerechteren & gesünderen Welt leben können. Uns wird grad so vieles vor Augen geführt was wir in unserer privilegierten Lage gemütlich ausblenden konnten. Unser sicheres Leben, das wir locker im Halbschlaf absolvierten, wird durchgerüttelt. Es passiert so vieles – auch ganz viel Schreckliches. Aber ich glaube zu 100% daran, dass dies die Chance ist, sich ganz viele von uns immer gewünscht haben.
Die Chance, überholte, kranke, ungerechte, patriarchale & kapitalistische Strukturen zu verändern. Und danach das Mensch-sein hier auch für die schöner ist, die nicht wie wir das Glück hatten, in ein Land geboren zu werden wo uns ausser Depressionen und Burnout nicht viel passieren kann.
Nochmals – das heisst nicht, dass ich denke, dass wir darum einfach easy zuschauen und darauf warten können, dass es vorbei geht. Nein. Die Wut, die in vielen aufkommt ist absolut genial!
Wut ist aus meiner Sicht unter anderem ein Zeichen von Grenzüberschreitung. Und bringt uns dazu, unsere Grenzen zu verteidigen. Und ich weiss, dass ganz vieles schief läuft weil wir viel zu selten gesagt haben – bis hier hin und nicht weiter. Viel zu viel einfach akzeptiert oder ignoriert haben.
Noch nie zuvor habe ich beobachtet, wie plötzlich so vieles in Frage gestellt wird. Überdacht wird. Wie so viel Wutkraft in Bewegung kommt, die das Potential hat, weit über unseren Tellerrand raus ganz vieles zu verändern.
Endlich! Und ich bin so glücklich wenn ich irgendwo die Worte lese: „Es gibt kein Zurück mehr in das, was vorher war“. Denn wer will schon zurück in dieses kranke „Normal“, das auf so vielen Ebenen so viel Leid erzeugt, dass ich gar nicht erst mit aufzählen beginne weil die Liste endlos ist.
Auf das Neue! Auf die Wut. Und auf die guten Geister. Ahe!