Irgendwer ist Schuld

Wie ihr ja bereits wisst, hatte ich Corona. Ja ich gebs zu, ich bin irgendwie stolz darauf. Darum muss ich es nochmals erwähnen.
Es erinnert mich an meine Kindheit. Wenn mir alle Erwachsenen sagten, ich dürfe was auf keinen Fall haben, wollte ich es unbedingt. Wenn eine Aktivität verboten war, wurde sie mein Lieblingshobby. Ich kann nichts dafür, dass ich so funktioniere. Das liegt bestimmt an meinen Genen. Ich kann sogar beweisen, dass sowas mit den Genen weiter gegeben wird:
Mein Urgrossvater hatte die Wahl – er konnte entweder ins Gefängnis gehen oder fortan in der französischsprachigen Schweiz leben. Ist ja klar, was er gewählt hat. Und wir alle wissen, dass die Welschen lockerer drauf sind. Mein Uropa war bestimmt nicht der einzige, der so gewählt hat und somit gibts in diesem Teil der Schweiz inzwischen ganz viele Menschen, die die Gene von Vorfahren geerbt haben, die Verbotenes mochten.
Ähm ja, ich sehs – lockerer drauf sein heisst nicht automatisch, dass man Verbotenes mag. Es war ein schlechter Versuch, das mit den Genen zu beweisen. Aber ich habe nun mal nicht Jura studiert und bin in Beweisführung nicht sonderlich gut.
Ich bin trotzdem nicht Schuld an all dem Mist, den ich schon als Kind gemacht habe. Vielleicht war das Wetter schuld. Ich lebte im Emmental und es war oft kalt im Winter.
Wie überall in der Schweiz. Ich weiss. Auch kein Unschuldsbeweis. Keine Ahnung…
Irgendwas war einfach Schuld. Denn es kann nicht sein, dass es ein freier Entscheid war, so viel Unsinn zu machen. Wirklich so ausserordentlich viel, dass die eine Lehrerin nach einem Nervenzusammenbruch kündigte und mir mein Lieblingslehrer sagte, sie würden mich bald von der Schule verweisen wenn ich so weiter machen würde.
Ich weinte. Aus unerfindlichen Gründen dachte ich nämlich, dass mich alle Lehrpersonen mochten. Ausser dieser einen vielleicht. Und dem Musiklehrer. Es konnte doch nicht sein, dass sie den Menschen von der Schule werfen wollten, der endlich mal ein wenig Leben in die Bude brachte.
Spätestens als mich der Hauswart vergnügt begrüsste als ich an einem Mittwoch-Nachmittag zur Schule kam um die Lehrertoilette zu putzen, die ich komplett mit blauer Tinte vollgespritzt hatte, war ich mir sicher – sie alle hatten nur darauf gewartet, dass hier endlich mal was passiert!
Endlich wurde Lehrer*in sein das reinste Abenteuer. Man konnte nie wissen, ob sich die Klassentüre öffnen lassen würde oder ob ich wieder mal die Schlüssel geklaut und uns eingeschlossen hatte. Ob die Kreiden heute funktionieren würden, oder ob sie wieder bloss fies quietschten, weil ich sie mit Nagellack vollgeschmiert hatte.
Keiner setzte sich mehr unbedacht hin – Reissnägel auf dem Stuhl trieb ihnen diese Sorglosigkeit rasch aus. Wenn ich aus dem unteren Klassenzimmer raus geschmissen wurde, ging ich ins Obere, hängte irgendwas an eine Schnur und veranstaltete ein Schnurtheater vor dem Fenster für meine Mitschüler*innen. Wenn es kein Zimmer weiter oben gab, kritzelte ich für die anderen ganz viele kleine Zettel voll und stopfte sie durchs Schlüsselloch. Und alle die es wünschten, hatten bessere Noten weil ich fand – wenn ein Notenheft einfach so rumliegt und ein Stift noch gleich dazu, ist es völlig legitim, hinter jede ganze Note noch ein 1/2 zu schreiben.
Ja, so sozial war ich. Ich schaute nicht bloss zu den Lehrpersonen, sondern auch zu meinen Mitschüler*innen. Ob wenigstens die mich gemocht haben? Ich hatte nach der Schule nie wieder Kontakt mit ihnen. Was meine Frage wohl beantwortet.
Ah doch. An der einzigen Klassenzusammenkunft, die wir hatten. Ca. vier Jahre nach Schulschluss. Es könnte durchaus sein, dass es noch mehr solche Zusammenkünfte gab. Und sie mich aus evt. ein klitzekleinwenig verständlichen Gründen nicht eingeladen haben.
Und jetzt bin ich gerade gar nicht mehr so stolz darauf, hab ich Corona bekommen obwohl es eigentlich verboten ist, das zu bekommen. Wenn das meine ehemaligen Mitschüler*innen erfahren, glauben sie mir nie, dass ich mich gebessert habe. Dass ich nur noch ca. 1x wöchentlich Unsinn mache. Und Reissnägel wirklich nur noch dazu benutze, etwas an die Wand zu pinnen.
Falls ihr jemanden von ihnen kennt, bitte sagt es ihr/ihm. Das mit Corona war bloss ein kleiner Ausrutscher. Ein Fauxpas. Ein Kavalierinnendelikt.
Ich will an die Klassenzusammenkunft!!
Vorallem wenn ich weiss, dass sie vielleicht nicht wollen, dass ich komme.